Dienstag, 14. Februar 2012
Carpe diem
http://www.huffingtonpost.com/bronnie-ware/top-5-regrets-of-the-dyin_b_1220965.html

Es mag hart klingen - aber für jemanden, der aus dem Leben scheidet (also von den notwendigkeiten des dauerhaften Über-Die-Runden-Kommens auf lange Sicht befreit ist) ist es rückblickend leicht zu sagen, man hätte das Leben anders führen sollen.

Und ein Geheimnis ist es nun ja nicht gerade, dass Familie, Freunde und Selbstverwirklichung wichtig für uns sind.
Das wissen auch diejenigen, die gesund und munter sind.
"Geld allein macht nicht glücklich"
"Lebe jeden Tag als wär es dein letzter"
Solche oder ähnliche Sprüche jeder schon einmal gehört. Doch genau wie diese Phrasen haben Artikel wie dieser keinerlei Konsequenzen. Nicht weil wir den Inhalt nicht verstanden haben, sondern weil wir unser Leben eben nicht so einfach ändern können.

Wer würde denn nicht gern mehr Zeit mit seiner Familie oder seinen Freunden verbringen?
Doch reicht das Geld für viele ja schon bei Vollbeschäftigung nicht einmal bis zum Ende des Monats bevor man schon wieder sparen muss. Von den gerinfügig Beschäftigten und HartzIV-Empfängern mal ganz zu schweigen.
Und es ist ja auch wirklich nicht so, als könne man sich in jedem Beruf frei entscheiden weniger zu arbeiten. Das Arbeitspensum bestimmt man in den wenigsten Fällen selbst und auch als
Selbstständiger ist man von äußeren Faktoren abhängig und kann sich in den seltensten Fällen leisten, einen Auftrag abzulehnen. Die Konkurrenz schläft nicht.
Aber selbst wenn eine Reduktion der Arbeitszeit möglich ist: im Zweifelsfall entscheidet man sich dann eben doch lieber für den Erhalt des gewohnten Lebensstandards als für einen früheren Feierabend.

Diese Realität will nicht so recht mit den "Carpe Diem" Botschaften zusammenpassen, die immer wieder mit geradezu religiösem Eifer gepredigt und leider nicht minder eifrig geglaubt werden.
Es ist typisch, dass Journalisten aus solchen Studien immer nur herauslesen, wie wir leben sollten anstatt nur einmal zu fragen, warum wir das nicht schon tun.
Wie kann es eigentlich sein, dass der Großteil der Bevölkerung, selbst in einer wohlhabenden Nation wie dieser, offenbar kein erfülltes Leben führt?
Eine Antwort auf diese Frage sucht man in solchen Artikeln vergeblich. Was man bekommt sind höchstens Tips, wie man sich mit den jämmerlichen Verhältnissen besser arrangieren kann.
Es gehört eben zum Zynismus des Kapitalismus, dass noch mit der Verzweiflung der Massen eine Bagage von Autoren und Motivationstrainern ihr Geld verdient.
Doch am grundsätzlichen Widerspruch zwischen Arbeitszwang und Lebensqualität ändert auch positives Denken nichts.

Dieser Widerspruch ist aber keinesfalls ein Naturgesetz. Wir haben eine Wahl.
Wir können uns entweder damit abfinden, dass wir unser kurzes Dasein damit zubringen, für einige wenige Wohlstand zu schaffen während wir von all den Möglichkeiten des Abenteuers "Leben" immer nur träumen können.
Oder wir suchen nach einer Gesellschaftsordnung, in der, soweit möglich, das Abschaffen von Arbeit, Plackerei und Mühsal und nicht das Schaffen neuer Arbeitsplätze Programm ist.
Wo unsere Bedürfnise die Produktion bestimmen und nicht Profitkalkulationen.
Wo wir arbeiten um der Arbeit willen und nicht, um Rechnungen zu bezahlen.

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